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Gestaltungsspielräume für die Stoffauswahl –
Ausgewählte Ergebnisse einer Befragung von Filmschaffenden

Dr. Marion Esch, Dr. Christoph Falkenroth

Ziele der Befragung

Welche Gründe dafür ausschlaggebend sind, dass in einer Hightech-Nation wie Deutschland MINT- Berufe trotz ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und der deutschen Stärken im Bereich der MINT- Forschungs- und Entwicklungsleistungen nach wie vor symbolisch kaum existent sind, wurde im Rahmen der Projektinitiative durch eine Befragung von Filmschaffenden erkundet.

Anders als in den journalistischen Programmbereichen sind das redaktionelle Geschehen und das Funktions-, Aufgaben- und Qualitätsverständnis, Kriterien für die Stoffauswahl, bisher wenig erforscht worden. Damit bleiben auch die Gründe für die nachgewiesene weitgehende symbolische Nicht-Existenz der MINT-Welt und die Gestaltungsspielräume für mehr MINT und geschlechtsuntypische Rollenmodelle weitgehend ungeklärt.

Die von Kammann, Jurkuhn & Wolf 2007 veröffentlichten Ergebnisse der von der Friedrich-Ebert- Stiftung in Auftrag gegebenen Bestandsaufnahme zur Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms kommt entsprechend zu folgendem Ergebnis: „Generell ist es so, dass Informationsprogramme von der sozialwissenschaftlichen Forschung auf Qualitätskriterien in alle Richtungen analysiert werden, Fiktion und Unterhaltung dagegen wesentlich seltener (vgl. exemplarisch Breusing 1999, 94–110). Hier sind die Kriterien viel weniger stark entwickelt. Normative Kriterien zählen hier in geringerem Maße, Fragen des Handwerks und der Publikumsakzeptanz hingegen fallen stärker ins Gewicht“ (Kammann et al. 2007).

Vor diesem Hintergrund erkundet die Befragung

  • Aspekte des beruflichen Funktions-, Aufgaben- und Qualitätsverständnisses von professionellen Drehbuchautoren/-innen, Produzenten/-innen und Sendervertreter/-innen
  • die Gründe für das verengte Berufsspektrum und die symbolische Nicht-Existenz von MINT und geschlechtsuntypischen Berufsrollenmodellen in fiktionalen Fernsehformaten in Deutschland
  • Maßnahmen, die von Filmschaffenden als hilfreich für mehr MINT und Chancengleichheit in fiktionalen Fernsehformaten erachtet

Die explorativ ausgerichtete Studie verbindet methodisch qualitative Interviews mit programmverantwortlichen Redakteuren/-innen der fünf großen Sender, mit Vertretern/-innen senderabhängiger und unabhängiger Produktionsfirmen und mit sehr erfolgreichen Drehbuchautoren/-innen mit einer halbstandardisierten schriftlichen Befragung von professionellen Drehbuchautoren/-innen(online/ postalisch) . Insgesamt wurden 25 Interviews durchgeführt. Im Rahmen der schriftlichen Befragung wurden 759 Autoren/-innen angeschrieben. Mit 21 % erreichte die schriftliche Befragung eine erfreulich hohe Rücklaufquote. 75 weibliche und 81 männliche Drehbuchautoren/-innen beantworteten den Fragebogen vollständig. 90 % der Befragten arbeiten länger als drei Jahre als Autor/-in. 76 % sind überwiegend hauptberuflich tätig. D. h. die Zielgruppe professioneller Autorinnen und Autoren konnte sehr gut erreicht werden.

Funktions- und Aufgabenverständnis von Filmschaffenden

Autoren/-innen nehmen gesellschaftlichen Einfluss von Spielfilmen und Serien als hoch war

Danach befragt, ob sie der Aussage zustimmen, dass Spielfilme und Serien geeignet sind, wichtige Themen zu transportieren, gibt die ganz überwiegende Mehrheit der Befragten an, dass sie dieser Aussage zustimmen bzw. außerordentlich zustimmen. Frauen stimmen der Aussage mit 77 % zu noch höheren Anteilen als Männer zu (68 %). Nur 6,4 % der Befragten halten Spielfilme für kaum oder gar nicht geeignet, wichtige Themen zu transportieren.

Der Aussage, dass Spielfilme geeignet sind, geschlechtsuntypische Rollenvorbilder zu kreieren, stimmen deutlich weniger Befragte außerordentlich oder eher zu. Gleichwohl ist mit 56 % die Mehrheit eher oder außerordentlich davon überzeugt, dass diese Fernsehformate dazu geeignet sind. Auch hier stimmen der Aussage mit 60 % mehr Frauen als Männer eher und außerordentlich zu. Der Aussage, dass positive gesellschaftliche Wirkungen erzielt werden können, stimmen mit 44,2 % weitaus weniger zu. Zudem gehen bei dieser Frage die Meinungen von Autoren und Autoren/-innen besonders weit auseinander.

Stark ausgeprägter gesellschaftlicher Gestaltungswille bei Autoren/-innen

In eine ähnliche Richtung weist die Beantwortung der Frage, wie wichtig es den befragten Autoren/-innen persönlich ist, in ihren Drehbüchern gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen und geschlechtsuntypische Rollenmodelle zu kreieren (vgl. Abb. 15 ). Die ganz überwiegende Mehrheit gibt an, dass es Ihnen außerordentlich wichtig, bzw. ziemlich wichtig ist, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen. Auch hier ist mit 82 % der Anteil von Frauen, denen dies außerordentlich wichtig bzw. ziemlich wichtig ist, deutlich höher als der der Männer (64 %).

Gleichstellungspolitischer Gestaltungswille weniger ausgeprägt und vor allem bei Autorinnen vorzufinden

Demgegenüber ist der Anteil derer, denen es wichtig bzw. sehr wichtig ist, geschlechtsuntypische Rollenmodelle zu kreieren, weitaus geringer. Ingesamt ist dies für 47 % ein wichtiges bzw. sehr wichtiges Anliegen. Der Anteil von Frauen, denen dies außerordentlich wichtig bzw. ziemlich wichtig ist, liegt bei 58 %, während nur knapp 30 % der männlichen Befragten angeben, dass es ihnen außerordentlich wichtig bzw. ziemlich wichtig ist, geschlechtsuntypische Rollenmodelle zu kreieren.

Redakteure/-innen und Produzenten/-innen betonen Entspannungsfunktion von Spielfilmen und Serien

Bei den befragten Redakteuren/-innen und Produzenten/-innen ist der Wunsch und Wille, durch Serien und Spielfilme prosoziale Wirkungen zu erzielen, deutlich geringer ausgeprägt als bei den befragten Autoren/-innen. Die Mehrzahl betont hier die Entspannungsfunktion fiktionaler Medien.

Das ist ja sozusagen ziemlich verschwunden, dass man die Bevölkerung durch Fernsehen belehrt… Autoren schreiben nicht mit dem Impetus, die Gesellschaft zu verändern, sondern etwas Neues zu machen.“ (Zitat Redaktionsleiter/-in). Eine andere/r Programmbereichleiter/-in) konstatiert: „Wenn wir erzählen, dann tun wir auch gerne etwas, was zum Eskapismus taugt…“.

Einen ausdrücklichen Bezug auf den Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender nimmt keiner der Befragten. Gleichwohl nimmt die Mehrzahl der Befragten durchaus in Anspruch, für soziale Grundwerte einzustehen und relevante gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Von allen Vertretern/-innen von Sendern und Produktionsfirmen wird als zentraler Auswahlgesichtspunkt für Geschichten genannt: „Die Geschichte muss gut sein.“

Im Rahmen der Interviews bestätigte sich auch der einleitend erwähnte Befund von Kammann et al., dass Qualität und Erfolg von Serien und Spielfilmen in erster Linie an handwerklich-dramaturgischen Kriterien und an der Quote bemessen werden, nicht am Erreichen von prosozialen Zielen oder Bildungseffekten. Dies geschieht bei Vertretern/-innen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten durchaus auch in dem Bewusstsein, dass in einer überalterten Gesellschaft die Ausrichtung an der Quote dazu einlädt, sich am unterstellten oder auch tatsächlichen Publikumsgeschmack der über 60- Jährigen (Frauen) zu orientieren, die die Mehrheit des Stammpublikums bilden.

„Die Quote scheint das Verlässlichste zu sein… auf diese Bibel wird geschworen. Und klar, auch deswegen, weil darin für uns eine Stabilität liegt, das sind ja stramme Zahlen, das sind Millionen, und hinter diesen Millionen soll verschwinden, dass es sich im Wesentlichen um Menschen über 60 handelt. Das wollen wir natürlich nicht so richtig wahrhaben.“ (Zitat Programmbereichsleiter/-in)

Zugespitzt formuliert hat dies an anderer Stelle Martin Berthoud, Programmplaner des ZDF: Die Jungen gewinnen, ohne die Alten zu verprellenfunktioniert in einem fragmentierten Markt nicht.“ (Berthoud 2008, 21)

Autoren/-innen zeigen sich mit der Innovationsbereitschaft von Sendern und Produzenten/-innen und mit der Qualität von Spielfilmen und Serien im hohen Maße unzufrieden.

Bewertung der Arbeitssituation und der Arbeitsergebnisse

Innovationsbereitschaft und Qualität – Autoren/-innen bewerten Sender und Produzenten/-innen kritisch und können Entwicklungsprioritäten nicht nachvollziehen

Die Bereitschaft von Sendern, in Stoffentwicklungsprozesse zu investieren, beurteilen 75,6 % der Befragten als niedrig bis außerordentlich niedrig, 20,5 % mit teils/teils. Nur 0,6 % sind der Meinung, dass die Investitionsbereitschaft hoch bis sehr hoch ist.

Das Urteil der Autoren/-innen zur Innovations- und Risikobereitschaft der Sender fällt noch ernüchternder aus. 96,8 % halten die Innovations- und Risikobereitschaft der Sender für niedrig bis sehr niedrig, 1,3 % für mittelmäßig.

Geringfügig besser fällt die Bewertung der Produktionsfirmen aus. Deren Innovations- und Risikobereitschaft halten 61 % der Autoren/-innen für niedrig bzw. sehr niedrig, ein knappes Drittel der Befragten halten hier die Entwicklungsanforderungen für wenig oder sehr wenig nachvollziehbar.

Ist es Autoren/-innen ein ausgeprägtes Anliegen, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen und geschlechtsuntypische Rollenmodelle zu kreieren, fällt das Urteil, welche Gestaltungsspielräume ihnen in ihrer täglichen Arbeit dazu gegeben sind, deutlich ernüchternder aus. Danach befragt, wie groß sie ihre persönlichen Gestaltungsspielräume wahrnehmen, geschlechtsuntypische Rollenmodelle zu kreieren, geben nur 25 % der Autoren/-innen an, dass sie ihre Spielräume, geschlechtsuntypische Rollenmodelle zu kreieren, als hoch bzw. sehr hoch wahrnehmen.

Nur 21 % der Befragten nehmen ihren Einfluss auf die Stoffentwicklung als sehr hoch bis hoch wahr.

Gut 58 % attestieren Sendern nicht nachvollziehbare Entwicklungsanforderungen und -prioritäten.

Die Qualität deutscher Fernsehproduktionen wird entsprechend ebenfalls sehr kritisch bewertet. Nur knapp 4 % der Autoren/-innen sind der Meinung, deutsche Fernsehserien seien qualitativ hochwertig (sehr hochwertig: 0 %). Kaum besser wird die Qualität deutscher Fernsehfilme beurteilt: Nur 14 % halten sie für hoch oder sehr hoch.

Gründe für ein verengtes Berufsspektrum und symbolische Nicht-Existenz von MINT und geschlechtsuntypischen Berufsrollenmodellen

Welche Gründe sind für die weitreichende symbolische Nicht-Existenz ausschlaggebend?

Die befragten Autoren/-innen wurden gebeten, den Grad ihrer Zustimmung zu vorgegebenen Antwortmöglichkeiten anzugeben.

Autoren/-innen nehmen Vorbehalte der Sender als zentrale Barriere wahr

Die ganz überwiegende Mehrheit der Befragten ist der Überzeugung, dass das geringe Interesse bzw. Vorbehalte der Sender ausschlaggebend für die weitgehende symbolische Nicht-Existenz von MINT- Berufen sind. 71, 8 % stimmen dieser Aussage eher zu oder außerordentlich zu.

Weitaus geringer, aber dennoch vergleichsweise hoch fällt mit 37,7 % der Zustimmungsgrad und -anteil zur Aussage aus, der zu hohe Stoffentwicklungsaufwand sei ein Grund für die Unterrepräsentanz. Der Aussage, dass das Publikumsinteresse für MINT in fiktionalen Formaten zu gering ist, stimmen nur 32,1 % zu. Der weitaus größere Anteil von 50 % der Befragten stimmt dem gar nicht bis kaum, 16 % mittelmäßig zu. 27 % stimmen der Aussage sehr bzw. außerordentlich zu, dass der zu hohe Produktionsaufwand ein wichtiger Grund ist.

Der zu hohen Themenkomplexität von MINT- Themen als Grund stimmen nur 23 % eher bzw. außerordentlich zu. Noch weniger Zustimmungsgrad und -anteil finden mit 16,7 % die Aussagen, dass die zu geringe dramaturgische Themenqualität und die Risiken der Kommunikation von MINT-Chancen und -Risiken sowie der schwierige Umgang mit Ängsten und Hoffnungen des Publikums ein Grund für die geringe Repräsentanz sein könnte.

Vorbehalte in Redaktionen und Produktionen durchaus vorhanden

Die von den schriftlich befragten Autoren/-innen mehrheitlich wahrgenommenen Vorbehalte von Sendern gegenüber der MINT-Welt und MINT- Berufen werden im Rahmen der Interviews mit Vertretern/-innen der Sender und sendereigenen Produktionsfirmen durchaus bestätigt. So konstatierte der/die Projektentwickler/-in einer sendereigenen Produktionsfirma: „Es gibt ja bestimmte Berufe in Serienformaten wie Juristen, Förster, Pastoren, Schauspieler, Ärzte, da geht es natürlich um Berufe, die in verschiedener Hinsicht als gesellschaftlich relevant oder vorbildhaft betrachtet werden. Das sind ethische Werte, die in der Gesellschaft fest verankert sind und die damit auch Rollenvorbilder ergeben, denen man gerne folgt.“

Vom gesellschaftlichen Nutzen von MINT-Berufen war der/die Befragte hingegen weitaus weniger überzeugt. Unter den befragten Redakteuren/-innen waren aber nicht nur skeptische und klischeehafte Vorstellungen von MINT-Berufen und ein geringes Interesse an MINT-Themen anzutreffen, sondern auch die Überzeugung, dass MINT- Themen ein nur geringes Publikumsinteresse versprechen.

Wissenschaft und Technologie, diese Wörter, das wirkt so kalt. Das wirkt auch für die meisten Zuschauer kalt… Ich will keinen Fernsehfilm machen zu einem wissenschaftlichen Thema und genau erklären, wie das alles zusammenhängt, weil, das würde niemanden interessieren, auch schon mich nicht. … Kinderarmut ist ein Thema, das geht mir persönlich sehr viel näher, als wenn ich denke, da gibt es ein Defizit in den Wissenschaften.“ (Sendervertreter/-in)

Von einem/r anderen Programmentscheider/-in wird der hohe Anspruchsgehalt von Stoffen mit MINT im Zentrum für das Publikum und für die Stoffentwickler/-innen als Grund für die starke Unterrepräsentanz genannt. „Wenn wir erzählen, dann tun wir auch gerne etwas, was zum Eskapismus taugt… Und mit allem, was Naturwissenschaft und Technik bedeutet, da muss man ein bisschen was lernen und verstehen. Wenn man darüber angemessen erzählen will, dann muss es auch in den Fakten stimmen. Und das tut ja auch ein bisschen, nun ja, nicht weh, aber das strengt ein bisschen an.“

Einige der Befragten äußerte in diesem Zusammenhang zudem die Auffassung, dass sich insbesondere junge Frauen durch MINT-Themen und Frauenfiguren in MINT-Berufen nicht angesprochen fühlen würden, sondern hohes weibliches Publikumsinteresse nur durch „die Liebe“ zu erreichen sei.

„Es ist völlig wurscht, welche Frauenfigur man sich vornimmt, es muss einegroße Liebesgeschichtedabei sein, Drama, es muss Tragik dabei sein.“ (Redakteur/-in)

Eine/r der befragten Redakteure/-innen bestätigt ausdrücklich, dass das Interesse an MINT-Themen in Spielfilm- und Serienredaktionen seiner/ihrer Beobachtung nach eher gering ausgeprägt ist und äußerte in diesem Zusammenhang auch die Überzeugung, dies sei auch Folge des hohen Frauenanteils in Redakteurs-Berufen: „Die Stärke der Präsenz von Frauen in diesen Redakteursberufen liegt genau in der Abwendung von z. B. Naturwissenschaften. Und sie reproduzieren das auch wieder.“

Auf Vorbehalte und geringes Vorwissen zur MINT-Welt in deutschen Fiktionsredaktionen wird auch durch folgende Einschätzungen von Produzenten/-innen und Producer/-innen verwiesen: „Angenommen, ich würde mir eine neue Figur überlegen, ein Konzept machen, und ich gehe damit zum Sender und sage, die neue Figur ist Biochemikerin, dann würden die wohl wortlos den Raum verlassen, weil die sich darunter nichts vorstellen können.“
(Daily-Soap-Producer/-in )

„Ich wette, wenn Sie mit einer Redaktionsleitung sprechen würden, die erste Antwort, die kommt, wäre:

‚Das ist unsexy‘“. (Autor/-in, Produzent/-in)

„Die Schwierigkeit ist: Wie kann ich was zeigen? Ingenieure vorm Rechner sitzen zu sehen ist langweilig.“ (Produzent/-in)

„Wenn ich mir vorstelle, da geht jemand zur Arbeit, wenn der da mit jemandem redet, dann verstehe ich nicht, worüber er redet, oder er rührt in irgendwelchen Kolben oder so, das ist eben nicht wirklich bildhaft.“ (Daily-Soap-Producer/-in)

Geringes Vorwissen – aber durchaus hohes Interesse der Filmschaffenden

Auch wenn sich einige wenige der Befragten nicht nur skeptisch im Hinblick auf den gesellschaftlichen Nutzen von MINT-Berufen, sondern auch auf die Publikumsattraktivität von MINT-Welten und Frauen in MINT-Berufen zeigen, ist nach den Ergebnissen der Befragung die symbolische Nicht-Existenz von MINT-Berufen nicht in erster Linie das Resultat einer zielbewussten Auswahl-Entscheidung gegen MINT- Themen, -Milieus und -Berufe. Sie sind vielmehr das Resultat

  • einer auf Ressourcenschonung abgestellten Programmpraxis, die B. in den Daily Soaps und Telenovelas darauf ausgerichtet ist, möglichst wenige Drehorte zu benötigen und viele Orte (vorzugsweise Restaurants und Cafés) zu kreieren, an denen Menschen sich begegnen können
  • einer Ausrichtung am allgemein Bekannten, Vertrauten, gut Darstellbaren und Visualisierbaren
  • einer Konzentration auf Berufsmilieus, in denen immer neue Fälle zu bearbeiten sind und diedamit gute Chancen zur Serialisierbarkeit bieten (Krankenhäuser, Kommissariate, Gerichte, Anwaltskanzleien)
  • des geringen Vorwissens der vornehmlich kultur- und geisteswissenschaftlich ausgebildeten Filmschaffenden, das einhergeht mit T. klischeehaften und stereotypen Vorstellungen und einem unterstellten Mangel an Schauwerten, visueller Darstellungsattraktivität und Serialisierbarkeit von MINT-Berufen
  • eines gering ausgeprägten Problembewusstseins für das verengte Berufsspektrum und die weitgehende symbolische Nicht-Existenz der MINT-Welt und deren unbeabsichtigten Nebenwirkungen auf die beruflichen Orientierungen von Jugendlichen.

In der überwiegenden Mehrheit haben sich die Befragten sehr interessiert gezeigt, mehr über die Welt von Naturwissenschaft und Technologie und über Fragen von Chancengleichheit in diesem Bereich zu erfahren. Dies gilt nicht nur für die interviewten Redakteure/-innen, Programmentscheider/-innen und Produzenten/ -innen, sondern auch für die Autoren-/innen. Auch hier zeigt sich, dass das Wissen zu MINT-Themen, -Milieus und Geschlechterkonstellationen bei Autoren/-innen eher gering ist – das Interesse daran aber dennoch hoch.
Mehr als die Hälfte (53,2 %) der Befragten bekundet ein ziemliches bis außerordentliches Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Themen.
Lediglich 9,0 % zeigen gar kein bzw. kaum Interesse. Gleichzeitig schätzen aber nur knapp 22 % ihr Vorwissen als ziemlich hoch ein.
Knapp die Hälfte (47 %) der Befragten interessiert sich für Wissenschaft und Technik als Milieu, fast ebenso hoch (45 %) ist der Anteil derjenigen, die über kaum Vorwissen in diesem Bereich verfügen.

Interesse an Geschlechtsrollenkonstellationen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen bekunden 44 %, 45 % haben hier kaum oder gar kein Vorwissen.

Interesse an Chancengleichheitsfragen bei Autorinnen deutlicher ausgeprägt

Ist das Interesse der weiblichen Befragten an MINT- Themen nur geringfügig geringer und das Interesse an Wissenschaft als Milieu geringfügig höher als das ihrer männlichen Kollegen, unterschiedet sich das Interesse der männlichen und weiblichen Befragten an Geschlechterkonstellationen ganz erheblich: Geben knapp 60 % der weiblichen Befragten ihr Interesse an Geschlechterkonstellationen als ziemlich und außerordentlich hoch an, zeigen sich nur etwa 27 % der männlichen Autoren sehr bzw. außerordentlich interessiert. 25 % der Frauen und nur 12 % der Männer stufen ihr Vorwissen in diesem Bereich als eher und ziemlich hoch ein.

 

Hilfreiche Maßnahmen für mehr MINT und Chancengleichheit in fiktionalen Fernsehformaten

Dialog und Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern/-innen hoch erwünscht

 Zu den Maßnahmen, die laut Meinung der Autoren/-innen hilfreich bzw. außerordentlich hilfreich sind, um die Entwicklung naturwissenschaftlich-technischer Themen und die Schaffung neuer weiblicher Rollenvorbilder für TV-Spielfilme, Mehrteiler und Serien zu unterstützen, gehören

  • eine Vermittlungsstelle für individuelle Beratung durch einschlägige Wissenschaftler/-innen (85 %)
  • Stipendien/Grants für Autoren/-innen zur Recherche und Stoffentwicklung (81 %)
  • die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern/-innen bei der Stoffentwicklung (77 %)
  • Produktionsförderungen (76 %)
  • Dialogmöglichkeiten mit Wissenschaftlern/- innen zu interessanten Forschungen (76 %)
  • Locationtours zu Forschungseinrichtungen und Unternehmen (75 %)
  • Workshops und Fortbildungsangebote (55 %)
  • Aufarbeitung und Diskussion von Best-Practice-Beispielen (52 %).

Die skizzierten Befragungsergebnisse fordern Wissenschaftsorganisationen nachdrücklich dazu auf, für Filmschaffende Möglichkeiten zum Dialog mit Wissenschaftlern/-innen und zu Einblicken in die MINT-Welt zu bieten und so dem unterstellten Mangel an Schauwerten, visueller Darstellungsattraktivität und Serialisierbarkeit von MINT-Berufen entgegenzutreten. Werden die journalistischen Programmbereiche von Wissenschaftlern/-innen und Wissenschaftsorganisationen zielgerichtet adressiert, fehlt es in Deutschland an der Schnittstelle von Science und Fiction an etablierten Dialogstrukturen und -kulturen. Die hohe Intransparenz des Wissenschaftssystems und fehlende Recherchezugänge für Autoren/-innen und Redakteure/-innen, die an die Spezifika fiktionaler Stoffentwicklung angepasst sind, erschweren den Zugang.

Dass unter diesen Umständen Wissenschaft und Technologie von Autoren/-innen eher gemieden werden, da es auch genügend andere interessante Geschichten und Handlungskontexte gibt,  die ihnen leichter zugänglich sind und für die es Vorbilder und manifeste Anhaltspunkte für hohe Publi- kumsattraktivität und senderseitige Akzeptanz gibt, ist nachvollziehbar. Das unterstreicht, dass hier gezielt Anreize geschaffen werden müssen, um die Entwicklungsrisiken für Autoren/-innen zu minimieren und auch Sender durch geeignete Maßnahmen zu entsprechenden  Programminnovationen zu motivieren.

Die Ergebnisse der Befragung weisen in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass solange, wie die Qualität von fiktionalen Programmen primär an der Einschaltquote bemessen wird und sich ein hoher Anteil des älteren weiblichen Publikums etwa mit Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen erreichen lässt, offenbar kein wirklicher Anreiz besteht, sich am Geschmack des jugendlichen Minderheitenpublikums auszurichten und in Programminnovationen und die Bildungsqualität von fiktionalen Programmen zu investieren.

Mit dem auch in öffentlich-rechtlichen Sendern fehlenden Bezug auf den Integrations- und Bildungsauftrag in den fiktionalen Programmbereichen fehlt es auch an systematischen Kriterien und Prioritäten für die Auswahl von Themen, Milieus und Berufs- bzw. Geschlechts-Rollenmodellen. Dies lädt dazu ein, die „gute Geschichte“ zum zentralen Auswahlgesichtspunkt für die Programmpraxis zu machen und sich an persönlichen Geschmacksvorlieben und am unterstellten Publikumsgeschmack des überalterten Stammpublikums zu orientieren.

Entsprechend fällt nicht nur das Urteil der Autoren/-innen zur Innovationsbereitschaft der Sender und zur Qualität deutscher Serien und Spielfilme ernüchternd aus, sondern auch das Urteil von Jugendlichen.

Die in der Abbildung dargestellten Ergebnisse zu den Senderpräferenzen Jugendlicher zeigen, dass Jugendliche im Spektrum aller deutschen Sender die Privatsender gegenüber den öffentlichen-rechtlichen Sendern ARD und ZDF deutlich bevorzugen. Nach ihren drei Lieblingssendern befragt, nimmt ProSieben insbesondere in der Gruppe der höher gebildeten männlichen und weiblichen Jugendlichen die Spitzenstellung ein. Demgegeüber liegen ARD und ZDF über alle Bildungsgruppen hinweg weit abgeschlagen auf den hinteren Rangplätzen. In Umkehrung traditioneller Annahmen, die den öffentlich-rechtlichen Anstalten ein höheres Anspruchs- und Qualitätsniveau zuweisen und den privaten Sendern gern die Rolle als Fernsehen für bildungsferne Schichten zuschreiben, zeigen die Ergebnisse zu den jugendlichen Senderpräferenzen, dass sich in höheren Bildungsschichten – und insbesondere in der Gruppe der höher gebildeten jungen Frauen – mit ProSieben jener Privatsender der mit Abstand größten Publikumsgunst erfreut, der auch den mit Abstand geringsten Anteil an fiktionalen Eigenproduktionen aufweist und ganz überwiegend amerikanische Erfolgsserien und Spielfilm- produktionen ausstrahlt.