Fiktionale Fernsehprogramme im Berufsfindungsprozess –
Ausgewählte Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Jugendlichen
Dr. Marion Esch, Jennifer Grosche
Untersuchungsziele und -stichprobe
Die explorative Studie „Berufsorientierung in Unterhaltungsformaten“, die das Potenzial von Spielfilmen und Serien für die MINT-Wissenschafts- kommunikation und Nachwuchswerbung aus Sicht der Jugendlichen erkundet, analysiert auf breiter empirischer Basis nicht nur das berufs- und studienbezogene Informationsverhalten sowie
den Stellenwert und das Gewicht von Elternhaus, sozialem Umfeld, Schule, Medien und der institu- tionalisierten Berufsberatung im Berufsfindungs- prozess Jugendlicher, sondern analysiert auch die beruflichen Orientierungen und die Nähe und Distanz der Jugendlichen zu MINT-Berufen. Im Rah- men der Befragungen werden dazu berufliche Ziele und Auswahlgesichtspunkte bei der Studien- und Berufswahl, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, zielbezogene Outcomeerwartungen, wahrgenom- mene Chancen und Risiken sowie wahrgenommene kollektive Wirksamkeitsannahmen im Hinblick auf Ingenieursstudiengänge und -berufe erkundet.
Diese Aspekte sind nach der sozial-kognitiven Theo- rie Banduras ausschlaggebend dafür, ob sich junge Menschen diesen Studiengängen und Berufen zuwenden.
Im Unterricht befragt wurden insgesamt 2.457 Schüler/-innen (1.249 Mädchen und 1.208 Jungen) verschiedener Bildungszweige aus verschiedenen Bundesländern, die ein bis zwei Jahre vor dem Schulabschluss stehen. Gymnasiasten/-innen, die im Zentrum des Untersuchungsinteresses stehen, sind mit 1.155 der Befragten vertreten (641 Mädchen und 514 Jungen), Realschüler mit 917 (425 weibliche Jugendliche und 492 männliche Jugendliche).
Hauptschüler/-innen sind in der Stichprobe mit 385 Untersuchungsteilnehmern/-innen vertreten (183 Mädchen und 202 Jungen).
Studienpräferenzen und studienbezogenes Informations- verhalten
Studienfachpräferenzen: Geschlechtstypische Fächerpräferenzen bestimmen nach wie vor das Studieninteresse
Danach befragt, welche Studienrichtungen die männlichen und weiblichen Studierwilligen innerhalb der Stichprobe in Betracht ziehen, zei- gen sich die altbekannten geschlechtstypischen Fächerpräferenzen. Die Spitzenreiter unter den jungen Frauen stellen die Sprach- und Kulturwis- senschaften, mit deutlichem Abstand gefolgt von Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Kunst- und Kunstwissenschaften. 38 % ziehen ein Studium der Sprach- und Kulturwissenschaften, 27 % ein Studium der Rechts-, Wirtschafts- und So- zialwissenschaften und 26 % ein Studium der Kunst und Kunstwissenschaften ganz sicher bzw. ziemlich wahrscheinlich in Betracht. Auch ein humanme- dizinisches oder ein Sportstudium ziehen Frauen mit einem Anteil von rund 20 % bzw. 16 % ganz sicher oder ziemlich wahrscheinlich in Betracht. Während die Mehrheit von über 66 % der weiblichen Studier- willigen ein sprach- und kulturwissenschaftliches Studium ganz sicher oder ziemlich wahrscheinlich
in Betracht zieht, zieht nur ein Anteil von 17 % ein naturwissenschaftliches, und ein Anteil von 14 % ein ingenieurwissenschaftliches Studium ganz sicher oder ziemlich wahrscheinlich in Betracht.
Für junge Männer bilden die Ingenieurwissen- schaften demgegenüber die Spitzenreiter. 45 % der befragten studierwilligen jungen Männer ziehen das Studium ganz sicher oder ziemlich wahrscheinlich in Betracht, dicht gefolgt von den Naturwissenschaften mit einem Anteil von 35 %. Bemerkenswert hoch ist bei den Männern der An- teil an Studierwilligen im Bereich Sport. Rund 23 % ziehen ein Sportstudium ganz sicher oder ziemlich wahrscheinlich in Betracht, etwa genau so viele wie die, die ein Studium der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (22 %) ganz sicher bzw. ziemlich wahrscheinlich in Betracht ziehen – deut- lich mehr, als diejenigen, die ein Studium in den traditionellen weiblichen Studienfächern Sprach- und Kulturwissenschaften, Kunst- und Kunstwis- senschaften oder ein humanmedizinisches Studium ganz sicher oder ziemlich wahrscheinlich in Betracht ziehen. Hier liegen die Anteile bei 13,6 % bzw. 10,6 % bzw. 12,5 %.
Ist ein Trend zu mehr Frauen in traditionell eher männlich dominierten Bereichen wie Wirtschafts-, Rechtswissenschaften und Medizin zu erkennen, zeigt sich umgekehrt kein Trend zu mehr Männern in Frauendomänen.
Studienbezogenes Informationsverhalten: Jugendliche fokussieren wenige interessant erscheinende Studienbereiche
Danach befragt, wie die Gymnasiasten/-innen ihren Informationstand zu den verschiedenen Studienfä- chergruppen beurteilen, zeigt sich in Übereinstim- mung mit anderen Untersuchungen deutlich, dass Jugendliche ihre Informationssuche auf wenige Studiengänge fokussieren und sich nur über diese in breiterem Umfang Informationen beschaffen.
Unabhängig von der Fächergruppe zeigt sich, dass Jugendliche ihrer Selbsteinschätzung nach zu den Studiengängen, die sie ganz sicher und ziemlich wahrscheinlich in Betracht ziehen, über einen mittleren bis hohen Informationsstand verfügen. Am besten informiert fühlen sich hier die Befragten über das Fach Sport sowie über Kunst, Sprach- und Kulturwissenschaften. Zu Studiengängen, die kaum oder gar nicht in Betracht gezogen werden, verfügen die Jugendlichen demgegenüber über einen niedrigen bis sehr niedrigen Informationsstand.
So beruht die Entscheidung junger Frauen gegen technische Studiengänge und Berufe in der Regel nicht auf dem Wissen über die Berufswirklichkeit, sondern ist vielmehr Effekt eines wenig attraktiv erscheinenden Berufsimages und interessanterer sowie passfähiger erscheinender konkurrierender Berufe.
Dass junge Frauen technische Studiengänge und Berufe in ihrer überwiegenden Mehrzahl über- haupt nicht in Betracht ziehen, sondern sich von Anbeginn den als interessanter und passfähiger empfundenen Studienfächern und Berufen zu- wenden und ihre Informationssuche entsprechend fokussieren, wird auch durch die Ergebnisse von Bolz (Bolz 2004) zur Wahl von Ausbildungsberufen belegt. 80% der von ihr befragten Mädchen geben an, dass ein technisch-gewerblicher Beruf nicht infrage kommt. Bei Migrantinnen liegt dieser Anteil sogar bei 89,5 %. Gleichzeitig geben die Frauen aber mehrheitlich an, keinerlei Vorstellungen von diesen Berufen zu haben (vgl. Bolz 2004, 45).
Images von Ingenieurstudiengängen und -berufen
Hohe Urteilsunsicherheiten – insbesondere bei jungen Frauen
Korrespondierend mit dem mehrheitlich insbeson- dere bei Frauen sehr geringen Informationstand zu diesen Studiengängen zeigen sich hier erhebliche Urteilsunsicherheiten bei der Beurteilung von Ingenieurstudiengängen und -berufen. Die gerings- ten Urteilsunsicherheiten und größten Urteilsun- terschiede zwischen Gymnasiasten und Gymnasi- astinnen zeigen sich im Hinblick auf die Fragen,
ob ein ingenieurwissenschaftliches Studium den eigenen Neigungen und Interessen und den eige- nen Begabungen entspricht und ob die Eltern eine entsprechende Studienwahl begrüßen würden.
Junge Frauen sind nach wie vor desinteressiert am Ingenieurstudium – junge Männer zeigen sich hingegen zu hohen Anteilen sehr zugeneigt
Nur 8,1 % der jungen Frauen, aber 37,4 % der jungen Männer stimmen eher oder voll und ganz zu, dass das Studium den eigenen Neigungen und Interes- sen entspricht. Mit 6,4 % stimmen noch weniger junge Frauen der Aussage eher bis voll und ganz zu, dass das Studium den eigenen Begabungen entspricht, während 33,5 % der jungen Männer dem voll und ganz zustimmen. Gar nicht bzw. kaum stimmen hier 69 % der jungen Frauen, aber nur 35,4 % der jungen Männer zu.
Junge Frauen fühlen sich zu wenig begabt und unterstützt durch ihre Eltern – trotz ihres vorhandenen hohen MINT-Leistungsniveaus
Bemerkenswert sind diese Urteilsunterschiede junger Frauen und Männer im Hinblick auf ihre Begabungen vor allem angesichts der Tatsache, dass sich bei den hier Befragten kaum Unterschiede im naturwissenschaftlich-technisch-mathematischen Leistungsniveau (Fächernoten) zeigen. Der Anteil von Frauen mit sehr guten bis guten Noten in den naturwissenschaftlich-mathematisch-technischen Schulfächern ist bei den weiblichen und männ- lichen Befragten fast gleich groß. Damit bestätigt sich einmal mehr, dass Frauen ihren MINT-Bega- bungen weitaus weniger vertrauen als die jungen Männer und sich die Jugendlichen in der Selbstein- schätzung zu ihren Begabungen und Kompetenzen eher an normativen geschlechterrollentypischen Kompetenzerwartungen orientieren als am faktischen Leistungsniveau. Dies gilt offenbar nicht nur für die jungen Frauen und Männer, sondern auch für deren Eltern. Nur 24 % der befragten Frauen stimmen der Aussage voll und ganz bzw. eher zu, dass ihre Eltern ein ingenieurwissenschaftliches Studium begrüßen würden. Bei den befragten jungen Männern sind dies demgegenüber mit 50 % mehr als doppelt so viele. Gar nicht oder kaum stim- men hier 36 % der jungen Frauen, aber nur 13 % der jungen Männer zu.
Die Passfähigkeit zu den eigenen Neigungen und zu den eigenen Begabungen sind zwei der vier für die jungen Männer und Frauen gleichermaßen mit Abstand am wichtigsten Auswahlgesichtspunkte für die Studien- und Berufswahl. 96,6 % der weib- lichen und 93,8 % der männlichen Gymnasiasten geben an, das es ihnen ziemlich bis außerordentlich wichtig ist, ein Studium oder eine Ausbildung zu wählen, die den eigenen Neigungen und Interessen entspricht. Ein Studium, das den eigenen Bega- bungen entspricht, ist 86,6 % der weiblichen und 83,3 % der männlichen Gymnasiasten ziemlich bis außerordentlich wichtig. D.h. nur zu einem Anteil von 6–8 % der befragten Gymnasiastinnen entspricht das Ingenieurstudium zwei der vier wichtigsten Auswahlgesichtspunkte für die Studienwahl. Bei den jungen Männern sind dies immerhin 37 % bzw. 34 %. Ähnlich wichtig bei der Berufswahl sind Ju- gendlichen nur noch die Arbeitsplatzsicherheit und Beschäftigungsperspektiven: Einen Beruf zu finden, der einen sicheren Arbeitsplatz bietet, ist für 92,5 % der weiblichen und 83,3 % der männlichen Gymnasi- asten ziemlich bis außerordentlich wichtig. Einen Be- ruf mit guten Beschäftigungsaussichten zu wählen, ist 77,1 % der weiblichen und 80,2 % der männlichen Gymnasiasten ziemlich bis außerordentlich wichtig.
Bilanz der Gymnasiasten/-innen zu Beschäftigungsperspektiven fällt positiv aus
Für die Auswahlkriterien Arbeitsplatzsicherheit und Beschäftigungsperspektiven fällt die Bilanz aus Sicht der Frauen deutlich besser aus als im Hinblick auf die Passfähigkeit zu den eigenen Interessen und Begabungen. Zwar steigen die Urteilsunsicher- heiten bei der Beurteilung von arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Aspekten des Ingenieur- berufs beträchtlich an: bis zu 32 % der weiblichen Befragten und bis zu 18 % der männlichen Befragten geben an, dass sie darüber nichts wissen. Im Hin- blick auf den zweitwichtigsten Auswahlgesichts- punkt der Arbeitsplatzsicherheit stimmen aber 59 % der männlichen und immerhin 40 % der weiblichen Jugendlichen der Aussage voll und ganz oder eher zu, dass Ingenieurberufe Arbeitsplatzsicherheit ver- sprechen. Noch mehr stimmen der Aussage voll und ganz oder eher zu, dass man in diesen Berufen ein hohes Einkommen erzielt und gute Aufstiegsmöglichkeiten hat. 50 % bzw. 52 % der weiblichen und 66 % bzw. 65 % der männlichen Befragten stimmen diesen Aussagen voll und ganz oder ziemlich zu.
Deutlich weniger Zustimmung findet die Aussage, dass der Beruf ein hohes Ansehen verspricht. Dieser Aussage stimmen nur noch 43 % der männlichen und 36 % der weiblichen Befragten zu.
Die Aspekte, die besonders hohe Zustimmungs- raten – auch bei Frauen – finden, sind gleichzeitig die, die Frauen bei der Studien- und Berufswahl we- niger wichtig sind. Ist es den männlichen und weib- lichen Befragten gleichermaßen sehr wichtig, einen sicheren Arbeitsplatz zu finden, ist es den männ- lichen Befragten wichtiger als den weiblichen, ein hohes Einkommen zu erzielen, aufzusteigen und durch den Beruf ein hohes Ansehen zu erlangen.
Ein hohes Einkommen zu erzielen ist 75,7 % der männlichen Befragten gegenüber 66,9% der weib- lichen ziemlich bis außerordentlich wichtig. 67,7 % der männlichen Befragten, aber nur 58,8 % der weib- lichen ist es ziemlich bis außerordentlich wichtig, aufzusteigen. Ein hohes Ansehen ist nur 31 % der weiblichen Befragten, aber auch nur 43 % der männ- lichen Befragten ziemlich bis außerordentlich wichtig. Mit 68,9 % bzw. 65,6 % ist deutlich mehr weiblichen, aber auch männlichen Befragten ziemlich bis außerordentlich wichtig, einen Beruf zu haben, der es ermöglicht, Familie und Beruf zu vereinbaren.
Hohe Urteilsunsicherheiten bei der Bewertung von Chancengleichheitsfragen – Bilanz eher negativ
Im Hinblick auf Fragen der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit, der Chancengleichheit und der Passfähigkeit des Ingenieurberufs zur weiblichen Präferenz für viel Umgang mit Men- schen im Beruf bestehen aufseiten der Befragten die größten Urteilsunsicherheiten. 44,6 % der weiblichen und 35 % der männlichen Befragten sehen sich nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Ingenieurberuf die Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bietet. Nur 13 % der jungen Frauen und 20 % der jungen Männer stimmen der Aussage voll und ganz oder eher zu, dass der Beruf Möglichkeiten dazu bietet.
Der mit Abstand größte Anteil der Befragten – 48 % der befragten Frauen und 52 % der befragten Männer – stimmt aber der Aussage kaum bis gar nicht zu, dass man in diesen Berufen viel Freizeit hat – ein Aspekt, der jungen Männern, anders als jungen Frauen, bei der Berufswahl durchaus wich- tig ist. Der Aussage, dass man in diesen Berufen viel Umgang mit Menschen hat – ein Aspekt, der bei der Berufswahl für 69,7 % der befragten Frauen, aber nur für 43 % der männlichen Befragten ziemlich bis außerordentlich wichtig ist –, stimmen nur 16 % der Frauen und 17 % der männlichen Befragten voll und ganz oder eher zu. Die größten Zustimmungsraten und geringsten Urteilsunsicherheiten findet die Aussage, dass Frauen es in diesen Berufen schwer haben. 30 % der weiblichen und 23 % der männlichen Befragten stimmen der Aussage voll und ganz und eher zu. Nur 20 % der Frauen und 23 % der Männer stimmen dem kaum oder gar nicht zu.
D.h. auch in diesem Urteilsbereich fällt insbeson- dere die Bilanz der jungen Frauen eher negativ aus: Frauen antizipieren nicht nur Schwierigkeiten als Frauen in diesen Berufen, sie betrachten die Mög- lichkeiten nicht als besonders gut, Beruf und Fami- lie vereinbaren zu können, und sehen auch nur zu sehr geringen Anteilen Möglichkeiten, viel Umgang mit Menschen zu haben. Letzteres ist ihnen zu 69,7 % außerordentlich bis sehr wichtig und geringfügig wichtiger als die Vereinbarkeit von Beruf von Familie. Demgegenüber ist es nur 43 % der männlichen Befragten außerordentlich bis sehr wichtig, im Beruf viel Umgang mit Menschen zu haben.
Gesellschaftlicher Einfluss und nutzen von Ingenieurberufen – insbesondere weibliche Gymnasiasten sind skeptisch
Auch im Hinblick auf die Beurteilung des gesell- schaftlichen Einflusses und Nutzens von Ingenieur- berufen zeigen sich insbesondere bei jungen Frauen große Urteilsunsicherheiten und mehrheitlich eher skeptische Haltungen. Bis zu 38 % der jungen Frauen sehen sich zu keinem Urteil in der Lage. Junge Männer weisen auch hier zu geringen Anteilen Ur- teilungsunsicherheiten (bis 23 %) auf und beurteilen den gesellschaftlichen Nutzen zu höheren Anteilen positiver.
Zwar nehmen Gymnasiasten/-innen Ingenieur- berufe mehrheitlich als gesellschaftlich hoch ein- flussreich wahr. 59 % und 48 % der jungen Frauen stimmen voll und ganz zu, dass diese Berufe die Mög- lichkeit bieten, Zukunft zu gestalten. Nur knapp 6% der jungen Frauen und der jungen Männer stimmen der Aussage kaum oder gar nicht zu.
Das Urteil zum gesellschaftlichen Nutzen von Ingenieurberufen fällt demgegenüber deutlich skeptischer aus. Stimmen junge Frauen und Männer noch zu 33 % bzw. 51 % der Aussage voll und ganz oder eher zu, dass Ingenieurberufe die Möglichkeit bie- ten, Lösungen für Umweltprobleme zu entwickeln, trauen nur 16 % der Gymnasiastinnen und 28 % der Gymnasiasten den Ingenieurberufen zu, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, und 11 % bzw. 19 % zur Erkennung und Heilung von Krankheiten beizutragen. Der Aussage, dass Ingenieurberufe die Mög- lichkeit bieten, Armut und Hunger in der Welt zu bekämpfen, stimmen nur noch 6 % der Gymnasiastinnen und 11 % der Gymnasiasten voll und ganz bzw. eher zu. Hier sind jene Jugendlichen in der Mehr- heit, die der Aussage kaum oder gar nicht zustim- men (46 % der weiblichen und 25 % der männlichen Befragten). Auch im Hinblick auf die Bewertung des Beitrags von Ingenieurberufen zur Erkennung und Heilung von schweren Krankheiten bilden die Jugendlichen mit 36 % bzw. 23 % den größten Anteil, die der Aussage gar nicht zustimmen, gefolgt von denen, die angeben, dazu nichts zu wissen, bzw. keine Angaben machen.
Auch in diesem Urteilsbereich zeigt sich, dass der Ingenieurberuf nur sehr bedingt passfähig zu den Präferenzen von weiblichen Jugendlichen ist. Zwar ist es mit 58,8 % bzw. 58,4 % den weiblichen und männlichen Befragten zu nahezu gleichen Anteilen außerordentlich bzw. ziemlich wichtig, einen Beruf auszuüben, der die Möglichkeit bietet, Zukunft zu gestalten. Den weiblichen Befragten ist es aber mit 53 % zu nahezu gleichen Anteilen außerordentlich und ziemlich wichtig, einen Beruf auszuüben, der die Möglichkeit bietet, Nützliches für die Allgemeinheit zu tun und sich sozial zu engagieren (51,3 %).
Dies ist ihnen zu höheren Anteilen ziemlich bzw. außerordentlich wichtig, als „auf alle Fälle Karriere zu machen“ und „eine leitende Funktion“ einzuneh- men (39,6 %). Sich für die Umwelt einzusetzen ist den weiblichen Befragten mit 29,3 % zu deutlich gerin- gerem Anteil ziemlich und außerordentlich wichtig, aber dennoch wichtiger als den jungen Männern.
Den männlichen Befragten ist es nicht nur zu einem geringeren Anteil von 23 % ziemlich oder außeror- dentlich wichtig, sich für die Umwelt einzusetzen. Mit einem Anteil 34,4 % bzw. 36 % ist auch der Anteil der männlichen Befragten deutlich geringer als der der weiblichen Befragten, dem es ziemlich bzw. außer- ordentlich wichtig ist, einen Beruf auszuüben, der es erlaubt, Nützliches für die Allgemeinheit zu tun und sich sozial zu engagieren. Mit 49,6 % ist es den männlichen Befragten deutlich wichtiger, „auf alle Fälle Karriere zu machen“ und „im Beruf etwas zu bewegen“ (58 %), „zu den Besten zu gehören“ (50 %) und „eine leitende Funktion“ einzunehmen (48,6 %).
Kurzum: besteht in Experten/-innenkreisen, in der Wirtschaft und auch in der Politik weitge- hender parteiübergreifender Konsens darüber, dass gerade Naturwissenschaft und Technologie aufgefordert und in der Lage sind, Lösungen für die ökologischen, sozialen, ökonomischen Probleme und Herausforderungen unserer modernen Welt zu erarbeiten und durch ihre Forschungs- und Entwicklungsleistungen zu mehr globaler sozialer Ge- rechtigkeit und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, sind insbesondere junge Frauen hier in hohem Maße eher skeptisch und urteilsunsicher. Skeptisch zeigen sich junge Frauen und Männer nicht nur im Hinblick auf den gesellschaftlichen Nutzen von Ingenieurberufen, sondern auch im Hinblick auf die wahrgenommene Attraktivitäts- wirksamkeit von MINT-Kompetenzen und -Berufen für Männer und Frauen, wobei sich hier bei Männern höhere Urteilsunsicherheiten als bei Frauen zeigen.
Wahrgenommene Attraktivitätswirksamkeit von Eigenschaften, Kompetenzen und Berufen für Männer und Frauen
Dimensionen der wahrgenommenen kulturellen Wertschätzung und geschlechtstypischen Akzep- tanz von Eigenschaften, Kompetenzen und Berufen sind bisher in ihrer Bedeutung für das Studien- und Berufswahlgeschehen nur unzureichend in den Blick genommen worden.
In der vorliegenden Untersuchung werden die Jugendlichen dazu nach der wahrgenommenen Attraktivitätswirksamkeit von Merkmalen, Kompe- tenzen und Berufszugehörigkeiten befragt.
Die Abbildung 11 zeigt, wie attraktivitätswirksam die genannten Eigenschaften, Kompetenzen und Berufe für Frauen wahrgenommen und wie attraktivitätswirksam sie für Männer gehalten werden. Die Ergebnisse werden jeweils aus der Sicht der weiblichen und der männlichen Jugendlichen dargestellt. Die darstellte Rangfolge orientiert sich bei der Beurteilung der Attraktivitätswirksamkeit für Frauen am Urteil der jungen Frauen. Bei der Darstellung der für Männer als besonders attrakti- vitätswirksam wahrgenommenen Eigenschaften, Kompetenzen und Berufe orientiert sich die Rang- folge am Urteil der männlichen Jugendlichen.
Wahrgenommene Attraktivitätswirksamkeit von Eigenschaften und Kompetenz – MINT- Kompetenzen wenig attraktiv, insbesondere für Frauen
Die Ergebnisse zeigen, dass erwartungsgemäß für Frauen gutes Aussehen aus Sicht von 91,3 % der jun- gen Frauen und 93,8 % der jungen Männer als ziem- lich bis außerordentlich attraktivitätswirksam wahr- genommen wird. Aber auch hohe Intelligenz ist für Frauen aus Sicht von 81 % der jungen Frauen und 77 % der jungen Männer ziemlich bis außerordentlich attraktivitätswirksam. Anders verhält es sich, wenn es um die Bewertung der Attraktivitätswirksamkeit naturwissenschaftlich-technischer Kompetenzen von Frauen geht. Nur noch 22 % der jungen Frauen und 19,4 % der jungen Männer halten es für ziemlich bis außerordentlich attraktivitätswirksam, wenn Frauen naturwissenschaftlich-technisch versiert und kompetent sind. Mit 39 % der Gymnasiastinnen und 40 % der Gymnasiasten sind hier deutlich mehr der Auffassung, dass dies kaum bis gar nicht attrak- tivitätswirksam für Frauen ist.
Auch für Männer ist gutes Aussehen aus Sicht von 86 % der jungen Frauen und 74 % der jungen Männer ziemlich bis außerordentlich attraktivitäts- wirksam – auch wenn die Anteile geringer sind als bei Frauen. Hohe Intelligenz ist für Männer aus Sicht von 82 % der jungen Frauen und 77 % der jungen Männer ziemlich bis außerordentlich attraktivi- tätswirksam. Und auch für Männer gilt, dass hohe Intelligenz von weitaus mehr jungen Frauen und Männern als ziemlich bis außerordentlich attraktivi- tätswirksam wahrgenommen wird als naturwissen- schaftlich technisch versiert und kompetent zu sein – aber zu deutlich höheren Anteilen als bei Frauen. 44 % der jungen Frauen und 49 % der jungen Männer halten es für Männer ziemlich bis außerordentlich attraktivitätswirksam, naturwissenschaftlich- technisch kompetent zu sein. Nur 23 % der jungen Frauen und 16,1 % halten dies für kaum bis gar nicht attraktivitätswirksam. Diese geringe wahrgenom- mene Wertschätzung und Akzeptanz von MINT- Kompetenzen insbesondere bei Frauen setzt sich auch bei der Beurteilung der Attraktivitätswirksam- keit von Berufszugehörigkeiten fort.
Wahrgenommene Attraktivitätswirksamkeit von Berufen – geschlechtstypische Berufspräferenzen werden fortgeschrieben
Junge Frauen und Männer zeigen sich einig – MINT-Berufe für Frauen wenig attraktivitätswirksam
Von der ganz überwiegenden Mehrheit der Gym- nasiastinnen als außerordentlich oder eher attrak- tivitätswirksam für Frauen werden der Beruf der Ärztin (74 %), der Managerin/Unternehmerin (69 %), Kultur- und Medienberufe (60 %), der Beruf der Rechtsanwältin (57,3 %), der Künstlerin (51 %) und der Spitzensportlerin wahrgenommen. Auch im Hinblick auf den Beruf der Kommissarin stellt die Gruppe der Gymnasiastinnen den größten Anteil, die glaubt, dass dieser Beruf Frauen außerordentlich bzw. eher attraktiv macht (46 %).
Das Urteil der jungen Frauen zur Attraktivitäts- wirksamkeit von MINT-Berufen für Frauen fällt demgegenüber außerordentlich ernüchternd aus. Von den weiblichen Befragten nimmt nur ein Anteil von 29 % den Beruf der Ingenieurin und ein Anteil von 23 % den der Naturwissenschaftlerin als außeror- dentlich bzw. eher attraktivitätswirksam wahr. Beim Beruf der Mathematikerin und der Informatikerin nimmt dieser Anteil weiter ab auf 18 % bzw.13 %.
Nur der Beruf der Politikerin und die Tätigkeit als Haufrau weisen einen vergleichbar niedrigen Anteil von Befragten auf, die diese Berufe als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam für Frauen wahrnehmen. Auch der Beruf der Lehrerin wird aus Sicht der weiblichen Befragten nur mit einem Anteil von 31 % als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam bewertet.
Auch wenn sich aus Sicht der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten die gleiche Rangfolge der für Frauen besonders attraktivitätswirksamen Berufe ergibt, bewerten männliche Jugendliche Berufe für Frauen durchweg zu deutlich geringeren Anteilen als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam als junge Frauen selbst. Besonders bemerkenswert ist der hohe Anteil der Gymnasiasten, die Nicht- Berufstätigkeit bzw. die Hausfrauentätigkeit als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam für Frauen wahrnehmen. Mit 30 % ist dieser Anteil weit- aus größer als der Anteil derer, die die MINT-Berufe als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam für Frauen halten. Der Beruf der Ingenieurin wird nur von 23 % der befragten Gymnasiasten für außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam für Frauen gehalten, der Beruf der Naturwissenschaft- lerin zu 28 %. Bei Mathematikerinnen, Politikerinnen und Informatikerinnen sinkt dieser Anteil weiter auf 13–14 %.
Urteil zur wahrgenommenen Attraktivitätswirksamkeit von MINT-Berufen fällt auch für Männer ambivalent aus
Eine deutlich andere Rangfolge als für Frauen ergibt sich im Hinblick auf die wahrgenommene Attraktivitätswirksamkeit von Berufen für Män- ner. Die Spitzenstellung nimmt hier aus Sicht der männlichen und weiblichen Jugendlichen der Beruf des Spitzensportlers, des Managers/Unternehmers und des Arztes ein. Werden diese Berufe zu gleichen Teilen zu etwa 70 % von Gymnasiasten als außeror- dentlich bzw. eher attraktivitätswirksam bewertet, liegt aus Sicht der weiblichen Befragten der Beruf des Arztes mit 75 % ganz vorne und auf einem gleichen Niveau wie bei den Frauen, dicht gefolgt vom Beruf des Managers/ Unternehmers (70 %). Mit einer Mehrheit von 65 % als außerordentlich bis eher attraktivitätswirksam für Männer betrachten die männlichen Gymnasiasten auch den Ingenieurbe- ruf, den Rechtsanwaltsberuf (58 %) und den Beruf des Kommissars (54 %). Die weiblichen Gymnasi- asten bewerten den Rechtsanwaltsberuf und den Beruf des Kommissars für Männer zu noch höheren Anteilen als außerordentlich bis eher attraktivitäts- wirksam und auch als deutlich attraktivitätswirk- samer für Männer als für Frauen. Den Ingenieur- beruf hingegen bewerten mit 59 % weniger junge Frauen für junge Männer als außerordentlich bis eher attraktivitätswirksam. Stellen im Hinblick auf den Ingenieurberuf bei den männlichen und weiblichen Befragten die Gruppen derer die Mehrheit, die den Beruf als außerordentlich bis eher attraktivitätswirk- sam wahrnehmen, verkehrt sich dieses Verhältnis beim Beruf des Naturwissenschaftlers. Hier über- wiegt der Anteil derer, die den Beruf für mittelmäßig bis kaum oder gar nicht attraktiv halten. Nur noch 36 % der jungen Frauen und 39 % der jungen Männer halten den Beruf für Männer für außerordentlich bis eher attraktivitätswirksam.
Der Anteil der jungen Männer, die den MINT- Beruf des Mathematikers und Informatikers als eher und außerordentlich attraktivitätswirksam für Männer wahrnehmen, ist noch geringer (25 % bzw. 27 %). Aus Sicht der männlichen Gymnasiasten fällt die Bilanz zur Attraktivitätswirksamkeit zum Beruf des Mathematikers und Informatikers ähnlich ernüchternd aus. Kultur- und Medienberufen sowie der Beruf des Künstlers und des Politikers für Männer werden geringfügig besser als der Beruf des Ma- thematikers und Informatikers beurteilt (30 %–27 %). Nur der Beruf des Lehrers und die Tätigkeit als Hausmann werden zu noch geringeren Anteilen als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam für Männer wahrgenommen (17 % bzw. 12 %).
Aus Sicht der männlichen Jugendlichen haben Berufe für Männer höhere Attraktivitätswirksamkeit – insbesondere traditionelle Männerberufe
Männliche Gymnasiasten bewerten offenkundig nicht nur die kulturelle Wertschätzung und Akzep- tanz von Frauen in MINT-Berufen und Männerdo- mänen noch geringer als die jungen Frauen selbst, sie stehen offenbar nach wie vor auch weiblicher Erwerbstätigkeit zu hohen Anteilen skeptisch gegenüber. Sie bewerten nicht nur weibliche Nicht-Erwerbstätigkeit zu hohen und deutlich höheren Anteilen als die weiblichen Gymnasiasten als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam für Frauen und nehmen Berufe für Frauen insgesamt zu deutlich geringeren Anteilen als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam wahr als junge Frauen; sie nehmen darüber hinaus die ganz überwiegende Zahl der hier aufgelisteten Berufe für Männer zu deutlich höheren Anteilen als außeror- dentlich bzw. eher attraktivitätswirksam wahr als für Frauen. Nur die klassischen Frauenberufe Kultur, Medien, Kunst und der Beruf der Lehrerin sind aus Sicht der männlichen Gymnasiasten für Frauen attraktivitätswirksamer als für Männer.
Besonders ausgeprägt sind diese geschlechtsty- pischen Unterschiede in der wahrgenommenen Attraktivitätswirksamkeit von Berufen in der Grup- pe der männlichen Befragten im Hinblick auf den Ingenieurberuf. Die männlichen Befragten halten diesen Beruf für Männer zu einem Anteil von 70 % für außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam. Für Frauen liegt dieser Anteil bei nur 30 %. Auch alle anderen MINT-Berufe und der Beruf des Politikers werden für Männer zu höheren Anteilen als für Frauen als außerordentlich bzw. eher attraktivitäts- wirksam bewertet.
Die weiblichen Befragten beurteilen nicht nur zu deutlich höheren Anteilen Berufe für Frauen als außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam, sondern tendenziell auch für Männer. Zwar schätzen auch Frauen traditionelle Frauenberufe wie Me- dien und Kultur, Kunst und Pädagogik zu höheren Anteilen für Frauen als für Männer als außerordent- lich bzw. eher attraktiv ein. Aber die weiblichen Befragten halten deutlich mehr Berufe für Männer und Frauen für gleichermaßen außerordentlich bzw. eher attraktivitätswirksam. Lediglich der Ingenieur- beruf besitzt auch aus Sicht der jungen Frauen nur für Männer eine hohe Attraktivitätswirksamkeit, während er von den befragten jungen Frauen für Frauen mehrheitlich als mittelmäßig bis kaum bzw. gar nicht attraktiv beurteilt wird.
Im hier dargestellten Antwortverhalten der Jugendlichen zu den wahrgenommenen kollek- tiven Attraktivitätswirksamkeitsüberzeugungen im Hinblick auf Eigenschaften, Kompetenzen und Berufe zeigen sich nicht nur eine deutliche Ausrich- tung an normativen Geschlechterrollen und auf die Geschlechterrollen hin abgestimmte Kompetenz- zuschreibungen. Deutlich wird auch, dass – abge- sehen vom Ingenieurberuf für Männer – die Bilanz zur wahrgenommenen kulturellen Wertschätzung von MINT-Kompetenzen und Berufen eher negativ ausfällt – insbesondere für Frauen.
Berufe, die auch das mediale Geschehen dominieren und von Frauen repräsentiert werden, werden als deutlich attraktivitätswirksamer wahrgenommen als MINT-Berufe
Die Bilanz zur Attraktivitätswirksamkeit von Beru- fen, die das mediale Geschehen dominieren, fällt im Vergleich zu den MINT-Berufen deutlich besser aus – sieht man hier einmal von dem in den journalis- tischen Programmbereichen stark repräsentierten Beruf des/der Politikers/-in ab. Dazu zählen nicht nur der Leistungssport, sondern auch die Ord- nungs-, Sicherheits- und Medizinberufe. So weist das hier dargestellte Ranking zur Attraktivitätswirksamkeit von Berufen auffallende Ähnlichkeiten zu den oben dargestellten Ergebnissen der Programm- analyse zur Repräsentanz von Berufsrollen in den fiktionalen Medien auf. Offenbar nehmen junge Frauen gerade die Berufe als besonders attrakti- vitätswirksam wahr, die auch in den fiktionalen Medienformaten dominieren und auch von Frauen in tragenden Rollen repräsentiert werden. Dies gilt nicht nur für den Beruf der Ärztin, Rechtsanwältin und Unternehmerin bzw. Managerin sowie tradi- tionell weibliche Berufe in Medien, Kunst, Kultur und Gestaltung. Selbst der Beruf des Kommissars, der einst eine reine Männerdomäne darstellte und Frauen lange Zeit verschlossen blieb, wird von jun- gen Frauen als attraktivitätswirksamer für Frauen wahrgenommen als MINT-Berufe.
Dem entspricht, dass O’Bryant und Corder-Bolz nachweisen konnten, dass traditionell männlich dominierte Berufe dann von Mädchen als interes- santer bewertet wurden, wenn sie im Fernsehen Frauen gesehen hatten, die diese Berufe innehatten (vgl. O’Bryant & Corder-Bolz, 1994, 85-97). Auch Griffin und seine Kollegen haben diesen Effekt bei Mädchen aus sozioökonomisch schlechter gestell- ten Hintergründen festgestellt (vgl. Griffin et al. (1978, 233-244). In verschiedenen Ländern ist in die- sem Zusammenhang bereits auch deutlich gemacht worden, dass Medien gerade dann einen starken Einfluss auf die Entwicklung von Berufsvorstel- lungen haben, wenn „reale“ Rollenmodelle in der Alltagswirklichkeit von Jugendlichen fehlen (Stein- ke 1998, 2005; Women at Work Commission 2006; Congressional Commission on the Advancement of Women and Minorities in Engineering and Technology Development 2000; Wasburn 2005/2007; Holliman et al. 2006; Kitzinger et al. 2007)
Dass sich junge Frauen im Berufsfindungspro- zess auch an medialen Rollenvorbildern in fikti- onalen Formaten orientieren, zeigen zudem die nachfolgend dargestellten Ergebnisse.
Stellenwert von fiktionalen Programmen im Berufsfindungsprozess
Inspirationsquellen für traumberufe: Persönlicher Kontakt zu Berufstätigen ist die häufigste genannte Quelle für die Entdeckung von Traumberufen
Danach befragt, ob Sie einen oder mehrere Traum- berufe haben und wie sie darauf aufmerksam geworden sind, geben insgesamt 78 % der befragten Jugendlichen aus allen Bildungszweigen an, dass sie einen bzw. mehrere Traumberufe haben. Die Jugendlichen geben mehrheitlich mehrere Inspi- rationsquellen dafür an, wobei sich hier deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen. Die Abbildung 13 gibt einen Überblick über die Häufigkeit, mit der die weiblichen und männlichen Jugendlichen die verschiedenen Quellen für die Ent- deckung von Traumberufen nennen. Das Häufig- keitsranking erfolgt entlang der Häufigkeit, mit der junge Frauen die jeweiligen Quellen angeben. Der persönliche Kontakt zu Berufstätigen ist für junge Männer und Frauen gleichermaßen die mit Abstand am häufigsten genannte Quelle, 42 % der jungen Frauen und 37 % der jungen Männer geben dies an.
Internet, Freunde, Bekannte und Eltern sind wichtige Inspirationsquellen – Jungen orientieren sich an ihren Vätern – Mädchen an ihren Müttern
Für junge Frauen sind Informationen aus dem Internet (34 %) mit deutlichem Abstand, gefolgt von Freunden und Bekannten (25 %), sonstigen Quellen (besondere individuelle Erlebnisse, wie z. B. Reisen) und Müttern (24 %) die danach am häufigsten ge- nannten Quellen. Für junge Männer haben demgegenüber die eigenen Väter einen deutlich höheren Stellenwert. Väter werden von 29 % genannt und lie- gen damit für junge Männer deutlich vor Informa- tionen aus dem Internet, vor Freunden, Bekannten und sonstigen Quellen. Von Frauen werden demge- genüber die Väter nur zu 13 % genannt. Die Mütter sind zwar für deutlich mehr junge Frauen Quelle für Hinweise auf Traumberufe als ihre Väter, aber zu deutlich geringeren Anteilen als Väter für die be- fragten jungen Männer. Umgekehrt werden Mütter mit 15,6 % von jungen Männern als Inspirationsquelle genannt. Nach dem Kontakt zu Berufstätigen und den eigenen Vätern sind das Internet (27 %) sowie Freunde und Bekannte (22 %) auch die von jungen Männern am häufigsten genannten Inspirations- quellen für Berufe.
Spielfilme und Serien sind insbesondere für Frauen häufiger Inspirationsquelle für Traumberufe als Berufsberatung, Infosendungen, Fachbücher und Unterricht
Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass von 23 % der jungen Frauen auch Filme und Serien als Inspi- rationsquelle für Traumberufe genannt werden. Damit werden diese von mehr jungen Frauen als Aufmerksamkeitsquelle für ihre Traumberufe ange- geben als die professionelle Berufsberatung (21 %), Verwandte (20 %) und Infosendungen (17 %). Zu noch geringeren Anteilen werden von jungen Frauen der schulische Unterricht (13 %) sowie Sachbücher und Fachzeitschriften (13 %) genannt. Schlusslichter bilden bei jungen Frauen – neben den bereits genannten Vätern – Unterhaltungsshows (7 %) sowie Romane, Biographien und Krimis (5 %). Junge Män- ner nennen Filme und Serien mit 18 % etwas weniger häufig als junge Frauen und geben diese – anders als die junge Frauen – auch zu etwas geringeren Anteilen als Infosendungen (19 %) und zu gleichen An- teilen wie die professionelle Berufsberatung (18 %) als Inspirationsquelle für ihre Traumberufe an. Aber auch für junge Männer gilt, dass Filme und Serien häufiger genannt werden als Mütter (15 %), Sachbü- cher und Fachzeitschriften (14 %) und der Unterricht an Schulen (13 %). Und auch für junge Männer bilden Unterhaltungsshows (4 %) und Romane, Biogra- phien und Krimis (5 %) die Schlusslichter.
Die Ergebnisse belegen nicht nur den hohen Stellenwert von persönlichen Berufsrollenvorbildern im Berufsfindungsprozess, sondern weisen auch darauf hin, dass sich Jugendliche offenbar eher an gleichgeschlechtlichen Rollenmodellen ausrichten, denen sie nicht nur in ihrem, sondern auch in den fiktionalen Umfeldern begegnen.
So zeigen die Untersuchungsergebnisse in Übereinstimmung mit Bolz (2004, 54) und Heine & Wil- lich (2006, 59 ff.) und Keunecke, Graß & Ritz-Timme (2010) nicht nur, dass Medien einen zentralen Stel- lenwert im Berufsfindungsprozess haben, sondern dass Jugendliche auch parasoziale Interaktionskon- takte zu personalisierten Berufs-Rollenmodellen in fiktionalen Formaten als Inspirationsquelle für die Berufswahl nutzen.
Jugendliche attestieren Fernsehserien und Spielfilmen hohen beruflichen Orientierungsgehalt
Der hohe berufliche Orientierungsgehalt und Stellenwert von fiktionalen Formaten im Berufsfin- dungsprozess wird auch durch die in Abb. 14, S.28 dargestellten Ergebnisse unterstrichen.
Danach befragt, ob sie durch fiktionale Formate schon einmal Interessantes über Berufe erfahren haben, billigen junge Frauen und Männer Fernseh- serien den größten beruflichen Informationsgehalt zu. Knapp 40 % der befragten jungen Frauen und 35 % der befragten jungen Männer geben an, durch Fernsehserien oft bis sehr häufig Interessantes über Berufe erfahren zu haben. Weitere 26 % der jungen Frauen und 25 % der jungen Männer geben an, zumindest gelegentlich Interessantes über Berufe erfahren zu haben. Nur 22 % der Frauen und 26 % der jungen Männer geben an, in Serien noch nie etwas Interessantes über Berufe erfahren zu haben.
Deutlich weniger junge Frauen und Männer geben an, oft bis sehr häufig Interessantes über Be- rufe durch Fernseh- und Kinofilme und Dokusoaps erfahren zu haben. Die Anteile sind bei den jungen Frauen und Männer in etwa gleich und liegen bei bei 25 % bis 28 %.
Anders, als Kritiker dies oft vermuten, werden Casting-Shows demgegenüber insbesondere von jungen Männern zu geringeren Anteilen als Quelle für interessante Berufsinformationen wahrge- nommen. 24 % der jungen Frauen und nur 15 % der jungen Männer geben an, sehr häufig bis oft Interes- santes über Berufe erfahren zu haben.
In Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Programmanalyse zum dramaturgischen Stellen- wert von Berufen in Abhängigkeit von Sendungs- form und Genre bewerten die jungen Frauen und Männer den berufsbezogenen Informationsgehalt bei Daily Soaps am geringsten. Nur knapp 20 % der befragten jungen Frauen und mit knapp 6 % noch deutlich weniger junge Männer geben an, hier oft oder gelegentlich Interessantes über Berufe erfahren zu haben. Hier bilden in der Gruppe der befragten jungen Frauen und Männer mit 63 % bzw. 84,3 % diejenigen die Mehrheit, die angeben, selten bis nie Interessantes über Berufe erfahren zu haben.
Potenziale fiktionaler Formate für die MINT-Wissenschaftskommunikation und Nachwuchswerbung
Die vorangestellten Ergebnisse haben gezeigt, dass insbesondere Serien aus Sicht von Jugendlichen nicht nur einen sehr hohen beruflichen Oirentie- rungsgehalt besitzen, sondern ein großes Potenzial haben, Jugendliche dort abzuholen, wo sie sich über alle Bildungsschichten hinweg in großer Anzahl und mit großem Vergnügen befinden.
Anders als das Internet, das im Normalfall eine aktive und zielgerichtete studien- und berufsbezo- gene Informationssuche voraussetzt, ist Berufsori- entierung in fiktionalen Unterhaltungsformaten aus Sicht der Jugendlichen sicher kein zielgerichtet intendierter Prozess, sondern ein unbeabsichtigter, aber durchaus willkommener Nebeneffekt von fiktionaler Fernsehunterhaltung. Fiktionale Formate prägen nach Steinke und Potts & Potts eher neben- bei bzw. unbewusst Vorstellungen über Berufs- und Geschlechterrollen (vgl. Steinke 1997/1998; Potts & Potts 1994).
Spielfilme und Serien können nicht nur Jugendliche, sondern auch deren Eltern, Peers und Lehrer/-innen in MINT-(Berufs-)Welten entführen, die ihnen in ihrem realen Leben in der Regel verschlossen sind, über die sie mehrheitlich kaum etwas wissen und die insbesondere junge Frauen aus sich selbst heraus nicht aufsuchen, sondern eher meiden würden.
So bieten Filme und Serien die Chance, die oben beschriebene Selektivität im beruflichen Informa- tionsverhalten der Jugendlichen zu durchbrechen, die oben skizzierten weit reichenden Informati- onsdefizite und Urteilsunsicherheiten der Jugend- lichen im Hinblick auf MINT-Berufe auszugleichen und die wahrgenommenen kulturelle Wertschät- zung von MINT-Kompetenzen und -Berufen sowie die Akzeptanz und wahrgenommenen Attraktivi- tätswirksamkeitsüberzeugungen zu Frauen in MINT-Berufen zu verändern.
Wenn es darum geht, durch fiktionale Fernsehformate das Interesse und die Motivation junger Frauen zu fördern, ihre Talente und Werte und ihren Willen zu einer gemeinwohlorientierten und verantwortungsbewussten Gestaltung unserer Zu- kunft in MINT-Berufe einzubringen, kommt es nach den hier vorliegenden Ergebnissen nicht nur darauf an zu zeigen, welche Chancen MINT zur Lösung der globalen sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme unserer Welt bietet, ohne Risiken, Konflikte und ethische Dimensionen auszusparen. Wichtig ist dabei auch, deutlich werden zu lassen, dass sich Ingenieurarbeit heute als Teamarbeit im Umgang mit Menschen vollzieht und nicht in erster Linie als einsame Tüftler- und Computerarbeit.
Frauen in MINT-Berufen in Spielfilmen und Serien in Szene zu setzen, die selbstverständlich in diesen Berufen agieren und erfolgreich Konflikte und Widerstände meistern, dafür auch Wertschätzung und Anerkennung als Frauen genießen und die zukunftsträchtige und partnerschaftliche Lösungen für die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie finden, kann wesentlich dazu beitragen, auch normative berufsbezogene Geschlechterrol- lenerwartungen und auf diese Geschlechterrollen bezogenen Kompetenzzuschreibungen zu verän- dern. Da die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die MINT-Selbstwirksamkeitsüberzeu- gungen junger Frauen weniger an ihrem tatsächlichen Leistungsniveau, sondern an normativen Geschlechtsrollen und auf diese Rollen bezogenen Kompetenzzuschreibungen orientieren, können mediale Modelle so auch das Vertrauen von jungen Frauen und ihren Eltern, Peers und Lehrern/-innen in ihre vorhandenen MINT-Kompetenzen und Be-gabungen stärken und wahrgenommene kulturelle Attraktivitätswirksamkeitsüberzeugungen der junger Frauen und Männer wandeln.
Steinke hat darauf verwiesen, dass für die Wirksamkeit von weiblichen Rollenvorbildern in geschlechtsuntypischen Berufen die Häufigkeit der Wahrnehmung von zentralem Stellenwert ist. „Frequent exposure to role-models is important because existing stereotypical gender schemata have been in place for many years. These schemata are resistent to new and contradictory information“ (Steinke 1998, 147).
Dies ist nicht nur durch entsprechende Labor- experimente nachgewiesen worden, sondern lässt sich auch am oben bereits genannten Beispiel der (Fernseh-) Kommissarinnen dokumentieren. Auch wenn hier keine allzu einfachen monokausalen Zusammenhänge unterstellt werden sollen und es an entsprechenden empirischen Untersuchungen in Deutschland bisher fehlt, wird man dennoch vermuten dürfen, dass der seit 2000 eingeleitete Kommissarinnen- und Polizistinnen-Boom auf dem Bildschirm wesentlich dazu beigetragen hat, dieses Berufsfeld auch für junge Frauen in der Realität „salonfähig“ zu machen und Vorstellungen über die Passfähigkeit dieser Berufe zu weiblichen Kompetenzen und zum weiblichen Sozialcharakter breitenwirksam zu verändern und somit nicht nur junge Frauen, sondern auch ihre Eltern und Peers davon zu überzeugen, dass der Beruf des Kommis- sars oder des Schutzpolizisten sich auch für Frauen eignet – entgegen der zuvor öffentlichen und berufständischen Meinung.
Dass Medien insbesondere durch ihre fiktionalen Programmbereiche das Interesse an Berufen wecken und damit auch das Studienwahlverhalten nachhaltig beeinflussen können, zeigt der Beitrag von Corinne Marrinan, Writer-Producerin der Fernsehserie „CSI“, einer der auch hierzulande außerordentlich erfolgreichen amerikanischen Serienproduktionen, in der Broschüre zur MINTiFF-Konferenz 2010. Dieser CSI-Effekt wurde nicht nur für die USA, sondern von Keuneke, Graß & Ritz-Timme (2010) auch mit Blick auf deutsche Verhältnisse nachgewiesen.